Auf deutschen Autobahnen ist es ja nichts besonderes mehr: Stau, Stau und nochmal Stau. Besonders die Ost-West-Verbindung, die an Hannover vorbeiführt, ist dafür ein Erste-Klasse-Kandidat. Doch was ist, wenn die Autos stehen? Gilt bei ruhendem Verkehr die gleiche Vorfahrtsregel wie im Normalbetrieb?
Ein Autofahrer hat die Vorfahrt des fließenden Verkehrs zu beachten – das ist unstrittig. Doch was gilt, wenn nichts mehr fließt und alle minutenlang stehen? Wenn von Fahrt also keine Rede mehr ist, verliert die Vorfahrtsregel dann ihre Geltung? Der Versuch, vom Beschleunigungsstreifen auf die rechte Fahrspur der Autobahn zu wechseln, schlug im konkreten Fall wegen fehlenden Platzes fehl, beziehungsweise weil keiner der im Stau Fahrenden ihm Einfahrt gewährte. Als der Verkehr wieder Fahrt aufnahm, übersah ein Lkw-Fahrer das halb auf der Fahrspur stehende Auto und kollidierte mit ihm.
Das Amtsgericht verurteilte den Fahrer in der ersten Instanz wegen fahrlässiger Nichtbeachtung der Vorfahrt zu einer Geldbuße von 110 Euro. Das Oberlandesgericht Hamm hat mit einem Urteil vom Mai 2018 diese Entscheidung jedoch wieder aufgehoben. Nach Auffassung des Gerichts ergaben die Feststellungen keinen Verstoß, denn steht der Verkehr, so gibt es keine „Vorfahrt“, die Vorrang haben könnte.
Bei stehendem Verkehr auf einer durchgehenden Fahrbahn würde es auch keinen Sinn ergeben, den Auffahrenden dazu zwingen zu wollen, eine hinreichend große Lücke zwischen zwei Fahrzeugen eben nicht zu nutzen. Wie schon die Formulierung „Vorfahrt“ im Gesetz zeige, muss ein Mindestmaß an Bewegung im Verkehr auf der durchgehenden Fahrbahn der Autobahn herrschen. Ansonsten könne nicht von „Fahrt“ gesprochen werden. Beim so genannten Stop-and-go-Verkehr gilt dagegen die Vorfahrtsregel, das bestätigte der Senat allerdings auch noch einmal ausdrücklich.