Technische Probleme sind offenbar nicht immer nur einfach technische Probleme. Das geht aus einem durchaus irritierenden Urteil des Europäischen Gerichtshof zum Reiserecht hervor. Passagiere, die Opfer einer Annullierung ihres Fluges sind, können sich auf eigentlich klare Formulierungen nicht mehr verlassen. Selbst aus rechtlicher Sicht muss jede einzelne Situation detailliert betrachtet werden und ist nur mit einem größeren Aufwand im Sinne der Betroffenen zu klären.
Grundsätzlich gilt, dass Luftfahrtunternehmen Fluggästen bei Annullierung eines Fluges wegen unerwarteter technischer Probleme einen Schadensersatz, einen Ausgleich leisten müssen. Jedoch können sie bestimmte technische Probleme, die etwa aus versteckten Fabrikationsfehlern, die die Flugsicherheit beeinträchtigen, aus Sabotageakten oder aus terroristischen Gründen entstehen, davon befreien. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union im September diesen Jahres. Doch genau an diesem Punkt wird es undurchsichtig: Versteckte Fabrikationsfehler etwa müssen demnach zukünftig von Passagieren mitgetragen werden – ein zweifellos nur schwer nachzuvollziehender Punkt.
Das Argument des Europäischen Gerichtshof, liest sich nur schwierig; hilft kaum zur Orientierung der Betroffenen: Die Fluglinie sei dann nicht zu einer solchen Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn sie nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
Im zugrunde liegenden Verfahren landete ein Flugzeug mit einer Verspätung von 29 Stunden. Nach Angaben der niederländischen KLM war die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände, nämlich eine Kombination von Mängeln zurückzuführen: Zwei Teile, die Kraftstoffpumpe und die hydromechanische Einheit, seien defekt gewesen. Diese Teile, die nicht verfügbar gewesen seien, hätten per Flugzeug aus Amsterdam geliefert werden müssen, um sodann in das betreffende Flugzeug eingebaut zu werden. KLM wies ferner darauf hin, dass bei den defekten Teilen die durchschnittliche Lebensdauer nicht überschritten gewesen sei. Auch habe deren Hersteller keinen spezifischen Hinweis gegeben, der darauf hindeutete, dass bei diesen Teilen ab einem bestimmten Alter Mängel auftreten könnten. Eine durchaus umständliche Argumentation, zumal für Laien – die betroffenen Passagiere.
Die Klägerin wollte drauf hin wissen, ob ein technisches Problem, das unerwartet auftrat, das nicht auf eine fehlerhafte Wartung zurückzuführen und auch nicht während einer regulären Wartung festgestellt worden ist oder werden konnte, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ fällt und somit das Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichspflicht befreit. Das Gericht erkannte, dass die Umstände im Zusammenhang mit dem Auftreten dieser Probleme dann als „außergewöhnlich“ eingestuft werden können, wenn sie ein Vorkommnis betreffen, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist.
Da jedoch der Betrieb von Flugzeugen unausweichlich technische Probleme mit sich bringt, sehen sich Luftfahrtunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeit gewöhnlich eigentlich genau solchen Problemen gegenüber. Im Hinblick hierauf können technische Probleme, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, als solche wohl kaum “außergewöhnliche Umstände” darstellen. Genau hier wird es schwierig. Wer beurteilt wie und was jetzt außergewöhnlich, wie der Begriff handfest zu interpretieren ist? Die Antwort darauf bleibt das europäische Gericht der Klägerin in Wesentlichen schuldig.
Um es noch begrifflich noch verwirrender zu machen, schreibt der Gerichtshof in seinem Beschluss, dass ein Ausfall, der durch das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs hervorgerufen wurde, zwar ein unerwartetes Vorkommnis darstellt. Dennoch bleibe ein solcher Ausfall untrennbar mit dem sehr komplexen System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden, das vom Luftfahrtunternehmen oft unter schwierigen oder gar extremen Bedingungen, insbesondere Wetterbedingungen, betrieben wird, wobei kein Teil eines Flugzeugs eine unbegrenzte Lebensdauer hat.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 17.09.2015, AZ – C-257/14 –